Gebet
Grundgebete
Nahezu allen Menschen, die in christlichen Kulturkreisen leben, ist das „Vaterunser“ als DAS Gebet aller Christen bekannt. Nach der Überlieferung der Bibel hat Jesus Christus selbst dieses Gebet seinen Jüngern und Nachfolgern anempfohlen. Mit den ersten Abendgebeten wurde es uns beigebracht und begleitet uns seitdem durch unser Leben.
Mit Gebet wird im Allgemeinen die Zuwendung eines Gläubigen zu Gott beschrieben. Zuwendung geschieht in unserem täglichen Leben oft in Gesprächen und so ist es nicht verwunderlich, dass das gesprochene, formulierte Gebet die Form ist, unter der uns das Gebet augenscheinlich begegnet. Gebete wie das „Vaterunser“, das Glaubensbekenntnis oder das „Gegrüßet seist Du Maria“ bilden so den Grundstock unseres Glaubens und der Gottesdienste.
Reflektion
Unser Tun stellen wir in Gottes Hand, indem wir am Beginn und am Ende einer Tätigkeit innehalten und einen Abschnitt – ein Stück unseres Lebensweges – in den Blick nehmen. Vorausschauend, um darüber nachzusinnen, was vielleicht an Entscheidungen, Gefahren aber auch Möglichkeiten auf uns zukommt. Zurückschauend um glückliche Momente dankend wahrzunehmen, aber auch Fehlhaltungen zu reflektieren und vielleicht nachzubessern.
Die Jahrhunderte geübte Praxis des Morgen-, Abend-, und Tischgebetes sind Beispiele dafür, aber auch die Stundengebete, wie sie nicht nur in unseren Klöstern praktiziert werden.
Es wäre zu wünschen, dass wir uns in der heutigen Zeit wieder mehr auf diese Erfahrungen der Vergangenheit stützen würden. Durch dieses Vorausschauen in den Tag und die Reflektionen am Tagesende würden viele Entscheidungen wohl nachhaltiger ausfallen – würden viele zwischenmenschlichen Beziehungen einfacher werden, wenn Aktionen und Reaktionen nicht aus einer Emotion heraus „passieren“ würden.
Das ist empfehlenswerte Praxis, trifft jedoch nicht den Kern des Gebetes.
Meditation und Kontemplation
Wenn wir uns jemandem zuwenden, dann möchten wir auch ein Gegenüber erkennen. Wir wollen eine Antwort. Jede Kommunikation, bei der ein Partner das Gefühl hat keine Reaktion zu erhalten wird eingestellt werden.
Sicherlich kann Erkenntnis auch als Antwort gesehen werden, aber viele Beter suchen mehr. Und vielleicht ist dieses Suchen und Sehnen: „die Sehnsucht nach dem Gegenüber“ die Voraussetzung für eine intensive Gottesbeziehung.
Um Sehnsucht wahrzunehmen braucht es eine Abwendung vom Betrieb und der Hektik unserer Zeit. Sehnsucht wird spürbar in Stille und wahrscheinlich ist auch ein gutes Stück Einsamkeit notwendig, um den Boden zu bereiten für ein kontemplatives Gebet.
Wenn wir einen Acker für eine Aussaat vorbereiten, dann räumen wir allen Wildwuchs vorher ab. Wir graben um, damit der Samen optimale Voraussetzungen bekommt zu wurzeln und zu gedeihen.
Es fällt uns heute schwer einen vollen Terminkalender, die Ansprüche unserer Mitmenschen und der Arbeitswelt beiseite zu legen und ruhig zu werden. Gedanken jagen einander und Stille kann zu Qual werden, wenn sie nicht „an die Hand“ genommen wird. Manchen hilft hier die Konzentration auf den eigenen Atem, anderen ein einfacher Glaubenssatz, der immer wiederholt wird wie beim „Herzensgebet“ oder auch bei den immer wiederkehrenden Gesätzen des Rosenkranzgebetes.
Gegenwart Gottes wird sich auf so bereitetem Boden bei jedem anders zeigen, so wie jede Pflanze auf anderem Boden ein etwas anderes Aussehen zeitigt.
Manche beschreiben sie als Licht, Gewissheit, Geborgenheit oder als Lebensatem der das eigene Sein mit großer Ruhe durchdringt.
Es gibt viele Menschen, die versucht haben sich Gottesbegegnung durch strenge Askese zu erarbeiten. Viele davon sind gescheitert. Vielleicht gehört die Offenheit für ein Geschenk dazu, ein Geschenk, das wir auch Gnade nennen.
Christlichen Mystiker wie Meister Eckhart (1260 - 1328), Heinrich Seuse (1295 – 1366) oder Johannes Tauler (1300 – 1361) haben immer wieder betont, dass Gott in uns und nicht außerhalb des Menschen zu finden ist. So machen sich auch heute immer wieder viele Menschen auf einen „mystischen“ Weg um Gott in sich zu finden. Eine geistliche Begleitung kann hier eine Hilfe sein.
Leid- und Nachterfahrung
Auch die großen Beter in der Geschichte wie Johannes vom Kreuz oder Theresia von Avila haben immer wieder von der „dunklen Nacht des Gebetes“ berichtet. Damit meinten sie das verzweifelte Schreien nach einer Antwort von Gott, den Verlust jeglichen Halts, das Versinken in der Gottverlassenheit.
Auch Jesus selbst versinkt in diese Dunkelheit und schreit am Kreuz die Worte des Psalms 22 „Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen“ in die Ungerechtigkeit und Not der Welt hinaus.
Es gibt keine Antworten auf die großen „Warum“ Fragen der leidvollen Geschichte und Gegenwart und auch auf das persönliche Leid jedes Einzelnen. Aber es gibt die Jahrhunderte alte Praxis des gemeinschaftlichen Gebets, der Fürbitte für die in unserer Mitte, die Leid durchstehen müssen.
Und - wir dürfen und sollen in unserer Not auch unsere Freunde und Mitmenschen um Ihr Gebet für uns bitten. Es ist kein antiquarischer Kinderglaube darauf zu vertrauen. Die vielen stillen Beter in unseren Gemeinden können das bestätigen.
Links
Die Kraft des stillen Gebets (Siebner SJ)
Hinweis zu Gebet der ev. Landeskirche Würtemberg
Tägliches Abendgebet (Video Format von Pater Philipp, Abtei Maria Laach)
Tagesimpuls mit Lesung und meditativem Gebet
Warum Beten nicht vergebens ist: Ein Kommentar von Heribert Prantl, Süddeutsche
Buchempfehlung: Franz Jalics, Lernen wir beten (Buchrezension)
Buchempfehlung: Johannes B. Brantschen, Warum lässt der liebe Gott uns leiden, Herder