Dienstag, 23. Mai 2023
Einsamkeit ein Tabuthema unserer Gesellschaft
Jüngere Menschen fühlten sich im Jahr 2019 laut einer Umfrage von statista häufiger einsam als ältere. Besonders die Menschen seien gefährdet, die sich in ihrem Leben in Übergangssituationen befänden. Menschen, die ein Studium begännen, eine Ausbildung, in den Beruf einstiegen. Alleinlebende, Singles. So schreibt das „Bundesministerium für Familien, Senioren, Frauen und Jugend“ auf der eigenen Internetseite.
Matthias und Linus sind Freunde seit der ersten Klasse. Sie sind grundverschieden. Doch ihre Freundschaft verbindet ihren Spaß am Diskutieren. Mittlerweile studieren die beiden und wohnen circa 200 km voneinander entfernt. Doch, wenn sie sich treffen, kann es passieren, dass sie nachts um drei immer noch debattieren. Eine Diskussion der beiden darüber, warum Einsamkeit einen negativen Touch hat, warum sich Menschen dafür schämen, warum es klare Kommunikation braucht und was es mit Flexen, Snaps und Vorwürfen auf sich hat.
Linus: Ich glaube, es gibt unterschiedliche Gründe, warum du dich für deine Einsamkeit schämst. Entweder, weil du denkst, dass es einen Grund dafür gibt, dass du einsam bist. Oder du fühlst dich „aus dem Raster gefallen“ oder anders und hast deswegen das Gefühl, du würdest nicht dazu gehören. Das stigmatisiert viele Leute.
Matthi: Ich glaube, dass die Stigmatisierung bei Einsamkeit auch daher kommt, dass du dir selber Druck machst, dass du sozial sein muss oder dass du viel mit Leuten unternehmen musst, weil du es von anderen siehst und hörst. Es ist ein flex, du kannst damit angeben, wenn du viel mit Leuten machst, weil es zeigt, dass du beliebt bist. Ich glaube, wenn du so etwas hast, ist es etwas Positives und wenn du das nicht hast, ist es etwas Negatives. Leute, die keine Freunde haben, können im seltensten Fall etwas dafür, aber es ist trotzdem etwas, das an deinem eigenen Selbstwert nagt.
Linus: (überlegt) Einsamkeit ist kein Vorteil, den du hast und mit dem du auf Menschen zugehen kannst. Böse ausgedrückt, ist es nichts, was du bieten kannst. Wenn du auf jemanden zugehst und sagst: „Ich fühle mich einsam“ klingt das nach "Bitte hilf mir". Du brauchst etwas. Wenn du das jemandem kommunizierst, ist es eine Schwäche. Wahrscheinlich ist das das Problem.
Matthi: Und über die Sozialen Medien entsteht ein falsches Bild. Es sieht so aus, als ob die Leute die ganze Zeit unterwegs sind und Sachen machen. Da siehst du immer wieder, wie Leute feiern gehen. Ich sehe das auch an mir. Ich mache keinen Snap, wenn ich zuhause im Bett liege. Obwohl viele Menschen im Bett liegen und nichts machen. Ich mache eher einen Snap, wenn ich im Jugendzentrum bin oder feiern gehe. Das ergibt die Beiträge für Snapchat oder für Insta. Die Menschen wollen nach außen zeigen: Schau, ich habe Freunde, ich gehe mit Leuten raus, ich unternehme etwas. Wenn du das nicht hast, denkst du dir: „Boah ey, irgendetwas stimmt nicht. Ich müsste doch jemanden haben, mit dem ich etwas machen kann.“
Linus: Ich glaube, es kann auch vorwurfsvoll aufgenommen werden, wenn du Leuten, die dir nahestehen, erzählst, dass du dich einsam fühlst.
Matthi: Für die ist es schwer etwas Gescheites zu raten, wenn sie nicht selbst in der Situation sind. Es ist blöd zu sagen: „Gehe raus und finde Freunde!“ oder „Sei mal glücklich mit deiner Einsamkeit“ (lacht). Da gehört mehr dazu.
Linus: Vielleicht ist es nicht so wichtig, dass ich den Leuten kommuniziere, dass ich mich einsam fühle. Vielleicht ist es wichtiger zu kommunizieren, was ich konkret brauche. Wenn ich auf jemanden zugehe und sage, dass ich mich einsam fühle, habe ich keines meiner Bedürfnisse kommuniziert. Der Gegenüber kann damit relativ wenig anfangen. Was heißt denn du fühlst dich einsam? Heißt das, du willst dich verbundener mit den anderen fühlen? Heißt das, du willst öfter feiern gehen? Was heißt das? Ich glaube, dass die Person, die sich einsam fühlt offensiver sein muss und sagen muss: „Hey du, ich möchte feiern gehen, weil ich Lust auf Feierngehen habe“ und nicht „Ich fühle mich einsam“. Gleichzeitig müssen die Leute, denen ich sage, dass ich mich einsam fühle, offener damit umgehen.
Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de
10 Tipps von Linus gegen Einsamkeit
- „Mach dir bewusst: „Hey, in der Situation ist wahrscheinlich jeder Mensch irgendwann in seinem Leben.““
- „Du kannst dir überlegen, ob du kleinere soziale Kontakte aufbauen kannst. Hat dir dein Nachbar vielleicht einmal vorgeschlagen Kaffee zu trinken? Das muss nicht gleich ein neuer Freund werden. Das Problem ist, dass viele direkt diesen Anspruch haben von null auf hundert zu gehen. Nein, es reicht, wenn du in Stufe eins 25-Prozent-Freundschaften hast und sich in Stufe zwei jemand herauskristallisiert. Vertraue auf den Prozess.“
- „Mach dir bewusst, dass das gerade eine blöde Situation ist, aus der du rauskommen kannst und rauskommen wirst. Vielleicht bist du in einer Situation, die Einsamkeit begünstigt. Vielleicht bist du umgezogen oder du bist in der Pubertät und fühlst dich in deinem Körper nicht wohl. Da gibt es zum Beispiel Videos auf Youtube von Leuten, die von sich selber erzählen. Oder es gibt Bücher, die du lesen kannst, um zu verstehen, warum du in der Situation bist, in der du bist und warum das nicht daran liegt, dass du blöd oder unsympathisch oder asozial bist.“
- „Egal, wie schlimm die Situation ist, mache dir bewusst, was für einen Wert du hast.“
- „Es ist eine tolle Vorstellung zu denken, dass du, wenn du dich alleine fühlst, im Alltag Freundschaften aufbauen kannst. Wenn das funktioniert, ist es cool. Herzlichen Glückwunsch! Aber setze dich nicht zu sehr unter Druck. Mache dich nicht verrückt, wenn es nicht klappt.“
- „Überlege dir, ob du deine Familie wieder einmal anrufen oder alten Freunden schreiben kannst. Du wirst merken, egal wie einsam du bist, die wenigsten Menschen sind wirklich alleine. Jeder hat im Leben irgendjemanden, den es interessiert, wenn es dir schlecht geht. Es ist wichtig zu merken, dass kein Mensch auf der Welt bei null anfängt. Selbst, wenn du bei null anfangen müsstest, wird es irgendwen unter den acht Milliarden Menschen für dich geben.“
- „Rede über deine Einsamkeit. Du musst kein riesen Fass aufmachen und einer Person dein ganzes Gefühlsleben offenbaren. Aber, wenn du merkst, dich überfordert das gerade hart, kannst du das bei Freunden in dem Rahmen, in dem du es ansprechen willst, ansprechen. Das hilft oftmals schon. Vielleicht war das Gegenüber in einer ähnlichen Situation. Vielleicht hat das Gegenüber selber Hebel, die es betätigen kann. Vielleicht sagt der eine Freund: „Ich nehme dich mal mit.“ Ich glaube, es hilft offen zu sein.“
- „Wenn du länger in der Einsamkeit bist, kannst du dir überlegen: Warum klappt es nicht? Gibt es Dinge, die ich ändern kann? Bin ich zum Beispiel durch die Einsamkeit abweisender gegenüber Menschen geworden? Haben mir meine Freunde mehrmals vorgeschlagen etwas zu unternehmen und ich sage ihnen oft ab?“
- „Es gibt sicherlich auch die Menschen, die partout nicht sehen wollen, dass da Menschen sind und sie nicht einsam sind. Wenn das auf dich zutrifft, kannst du rational sein. Wenn dir zum Beispiel jemand in der Schule Weihnachtspost schickt, kannst du davon ausgehen, dass du mit dieser Person befreundet bist. Natürlich sollst du dich in keine Freundschaft reindrängen lassen. Aber, selbst, wenn du mit der Person nicht befreundet sein willst, siehst du, dass da Leute sind, die mit dir befreundet sein wollen. Das bestätigt, dass du nicht so schlimm sein kannst.“
- „Mache dir bewusst, dass du dein bestes gibst und kontinuierlich mehrere Möglichkeiten aufbaust, wie du Freunde kennenlernen kannst. Sei dir sicher: Du kommst da raus. Du gehst es an. Vertraue darauf, dass du mit der Zeit aus der Einsamkeit herauskommst.“
Ronja Goj, In: Pfarrbriefservice.de